Orte der Kraft
Die wichtigste Einrichtung der Maoris ist das sogenannte Marae, was übersetzt soviel wie heiliger Platz heißt. Es steht außerhalb des Hoheitsgebietes der neuseeländischen Exekutive, die es nur bei Waffenmissbrauch betreten darf, was einer der Hauptgründe ist, warum Maoris trotz jahrhundertelanger Unterdrückung ihre Selbstständigkeit bewahren konnten. Jedes Dorf besitzt sein eigenes Marae, auf desem befindet sich ein Wharenui ('Wh' wird als 'F' ausgesprochen, also 'Farenui'; Meeting House) und ein Wharekai, das Haus, in dem gemeinsam gegessen wird. Es ist spirituelles und poltisches Zentrum, Kirche, Tempel, Festsaal, Schlafsaal, Großküche und Rathaus in einem, wo man regelmäßig zusammenkommt, die wichtigsten Entscheidungen getroffen werden - was mitunter tage- und nächtelange Besprechungen benötigt, die Toten betrauert und Feste gefeiert werden.
Das Wharenui kann ein einfaches Holzgebäude sein, doch ist es oft mit eindrucksvollen geschnitzten Säulen und Figuren sowie gewebten Flachstapeten verziert. Holzschnitzerei gehört neben dem Flachsweben und Ta Moko (Tätowierung) zur wichtigsten Ausdrucksform der schriftlosen Maorikultur, mit der man sich in erster Linie mit den Ahnen verbindet. So steht jede geschnitzte Holzfigur für einen Stammes- und Familienbegründer und das Wharenenui ist der Urahne selbst, von dem alles herrührt. Der Dachgiebel formt die Hände, die Dachsparren seine Rippen und der Firstbalken seine Wirbelsäule. Die beiden Säulen in der Mitte stellen die beiden Herzkammern dar. Die Holzschnitzereien an der Außenseite des Gebäudes und bei den Toren zum Marae stellen meist Schutzgeister dar.
Die Herkunft eines Menschen, einer Familie, eines Stammes, die sogenannte Whakapapa, ist von enormer Bedeutung und Teil gelebter Maorispiritualität. Jeder Maori kennt seine Whakapapa, man geht vorwärts mit dem Blick zurück, manchmal sogar bis in jene Zeit, als die Urahnen mit ihrem Waka (Kanu) aus dem mythologischen Hawaiki nach Arotearoa kamen. Früher wurde Männern die Whakapapa mit wunderschönen und für jeden Stamm einzigartigen Mustern in das Gesicht tätowiert (Moko), während Frauen durch ein Kinnmoko ausgezeichnet wurden. Beides ist heute selten und wird nicht immer auch in jener rituellen Form wie ursprünglich übertragen. In Waitangi haben wir eine sehr interessante Moko-Künstlerin kennengelernt, die kurz davor stand, ihr Kinnmoko in einer großen Zeremonie im Marae von Waitangi zu erhalten. Damit ist große Verantwortung für die Gemeinde verbunden und man verpflichtet sich, ein Leben ohne Alkohol und Zigaretten zu führen.
Einander Kennenlernen bedeutet hier, mit der Whakapapa des Gegenübers vertraut gemacht zu werden. Kennt man einmal Familie, Stamm und Ahnen, so kennt man den Menschen, denn durch die tiefe Verbundenheit mit den Ahnen haben Maoris ein enormes Zusammengehörigkeitsgefühl, egal wie viel europäisches Blut in ihren Adern fließt. Einen Maori kennt man längst nicht mehr an seiner Hautfarbe, sondern an seinem Herzen und seiner Whakapapa, heißt es hier. In Otiria gibt es sogar eine eigene Whakapapa-Kirche auf dem Marae, wo hunderte Ahnenfotos und -bilder hängen und so manche lassen es sich nicht nehmen, mit Hilfe von Computerdatenbanken ihren Stammbaum genau festzuhalten. Jedenfalls haben wir gemerkt, wenn es um die Whakapapa geht, können Gespräche seeehr lange dauern.
Unsere erste Begegnung mit einem Marae findet in Auckland statt, wo uns Mary Ann erstmals mit den Traditionen ihres Volkes und dem Zeremoniell des Maraes bekannt macht, vorerst noch theoretisch. Später erleben wir öfters das tief beeindruckende Protokoll eines Maraebesuchs. Gäste haben vor dem äußeren Tor zu warten, bis sie von den Frauen mit einem eindringlichen Willkommensgesang, dem Powhiri, in das Wharenui gebeten werden. Dort erzählen die männlichen Gastgeber ihre Whakapapa bestärkt durch den gemeinsamen Gesang von Frauen und Männern. Dann erzählen die (männlichen) Besucher von ihrer Herkunft, gefolgt durch gemeinsamen Gesang. Danach begrüßt man einander mit Hongi, bei dem Stirn und Nasen aneinander gedrückt werden. Den Abschluss dieses formalen Aktes, der niemals ausgelassen wird, bildet ein gemeinsames Essen, bei dem viel geredet und gelacht wird. Bleibt man über Nacht, so werden im Wharenui Matratzen aufgeleget und alle schlafen gemeinsam in einem Raum. Dann gehört man sozusagen zur Familie und zum Stamm und ist immer willkommen.
Wir hatten das Glück, diese Zeremonie nicht nur als Außenstehende zu beobachten, wie etwa beim Festivals des Ngati-Hine-Tribes in Otiria, sondern selbst als Besucher in ein Marae zu kommen und willkommen gesungen zu werden, unsere Herkunft zu erzählen, unsere Lieder zu singen, Hongi zu machen, was sehr berührend war. Wir waren zu Gast bei einer sehr herzlichen Großfamilie in Motuti in der Hokianga Bay an der Westseite des Northlandes.
Die Schnitzereien des Motuti Maraes zeigen eine interessante Mischung aus alten Maorifiguren und christlichen Elementen. So finden sich auf einer Säule Jesus und Maria wieder, auf einer anderen die ersten katholischen Missionare oder schottische Händler, die folgenschwere Waren wie Schusswaffen, Tabak und Alkohol einführten. Man bezieht sich eben auf alles, was auf die Entwicklung des Stammes eingewirkt hat.
Wir erlebten dort zwei intensive Tage, in denen wir mit den Traditionen und Lebensgewohnheiten ein wenig vertraut gemacht wurden, und im Matratzenlager mit der Großfamilie und einer großen Kinderschar nächtigten.
Nun gehören wir also zum Stamm der Te Kai Tutai ;-)
Meeting House am Marae (sakraler Platz der Maoris) bei Auckland
Mary Ann, eine sehr liebe Maori, bringt uns ihr Wissen näher
Sie kamen von weit her
Marae in Waitangi
Spürt sich auch so an
Riesenwaka (Kanu)
Quanilchen
Mit Eva im Kauriwald
In Whangerei
Mit Alan, Evas Cousin
Silberfarn